Der Vorname in Schönschrift. Ein lesbares Porträt.

24 x 50 x 60 cm, Auszug aus einer Serie von 30 Fotografien
Entstanden mit den Mitarbeitern im Finanzamt Pirmasenz

Der Vorname ist das Erste, was uns nach der Geburt bezeichnet.

Ist der Name, so wie ich ihn aufschreibe, meine Identität?

Kann er an diesem Platz seinem „Namen alle Ehre machen“?

Wird dieser Name mit Würde getragen?

Wann schreibe ich meinen Namen mit der Hand?

Wieviele Persönlichkeiten können ein Amt bewegen?

Auszug aus der Einführungsrede von Dr. Danièle Perrier

 

26 Fotografien von Menschen, viele aus dem Finanzamt, die anderen eng damit verbunden. Dementsprechend ist die Umgebung nüchtern, wie eben in Ämtern üblich. Die fotografierten Menschen halten jeweils ein Blatt Papier vor sich, auf dem sie – auf Bitten der Künstlerin – ihren Vornamen geschrieben haben. Verschiedene Elemente sprechen von der Person und ihrer Identität: der Vorname selbst, dann die Art, wie er auf dem Blatt Papier platziert ist und mit welcher Schriftart er geschrieben ist – in neutralen Großbuchstaben oder in Form einer Signatur – und die Art und Weise, wie die Personen das Blatt halten, sich in Szene setzen. Schließlich kommt noch der Ausschnitt, den die Künstlerin für das Bildformat gewählt hat, hinzu.

Der Vorname zuerst:
Schon als Baby lerne ich, dass dieser Wortlaut mich meint und ich identifiziere mich bald damit. Mein Vorname ist es, der mich von den anderen Familienmitgliedern unterscheidet. Er ist ein Mittel zur Kommunikation. Später werde ich selbst entscheiden, wer mich beim Vornamen nennen darf und wer nicht.  Sein Gebrauch ist ein Zeichen der Zugehörigkeit, der Zuneigung, der Freundschaft oder der Kameradschaft. In manchen Gesellschaften verschwindet diese Differenzierung, entweder weil man die gesellschaftlichen Ungleichheiten durch den Gebrauch des Vornamens nivellieren will (USA) oder weil man mit veralteten sozialen Strukturen brechen will, wie in Spanien nach Francos Tod.

Der Klang eines Vornamens übt eine gewisse Magie aus, die sprachabhängig ist; er sollte möglichst gut mit dem Nachnamen harmonieren. Ein schönes Beispiel: Melanie von Claparède.

Man sagt auch, dass Namen eine Auswirkung auf die Persönlichkeit der Namensträger haben. Zumindest wird dies in den Büchern suggeriert, die werdende Eltern kaufen, um den geeigneten Vornamen für ihr Kind zu finden. Ob wahr oder nicht, das muss letzten Endes der Namensträger selbst für sich entscheiden. Ich zum Beispiel bin ganz zufrieden mit dem Bild des Propheten Daniels, der in der Löwengrube steht und dem die Löwen die Füße lecken statt ihn zu verschlingen.

Davon ausgehend habe ich mich gefragt, ob man aus der Art, wie eine Person ihren Vornamen auf dem Blatt Papier schreibt und setzt, Rückschlüsse auf deren Persönlichkeit schließen kann. Ralf zum Beispiel füllt das Blatt Papier ganz aus und zeigt somit Präsenz. Klare Aussage: Ralf füllt den Raum aus. Aber Ralf  verwendet Großbuchstaben, also anonyme Charaktere, die letzten Endes nichts von seiner Intimität verraten. Er ist eine gestandene Persönlichkeit und fühlt sich wohl. Hier im Archiv wühlt er, sucht, entziffert mit Selbstverständlichkeit. Er erweckt den Eindruck von Seriosität, sein Job ist ihm wichtig.  Vermutlich liebt er seinen Job – später erfahre ich, dass er Musiker ist – aber seine private Sphäre bleibt uns verborgen.

Bernd hingegen hat seinen Vornamen relativ bescheiden, links inmitten des Blattes geschrieben, mit seiner eigenen, geneigten Handschrift. Er hält das Blatt mit beiden Händen vor seinem fülligen Körper und strahlt. Er weiß, wo er im Leben steht und für ihn ist es eine Freude posieren zu dürfen, einmal im Mittelpunkt zu stehen.

Eine kleine Handschrift hat eine Sekretärin; ich kann ihren Vornamen nicht entziffern. Die Frauenhand, die das Papier hält tut dies, als würde sie die Wirkung der Schrift inspizieren oder den Adressaten prüfen. Im Bild sieht man nichts als einen Bürotisch mit zwei Arbeitsplätzen. Offensichtlich wurde das Sekretariat fürs Foto aufgeräumt. Nicht Arbeitsatmosphäre herrscht, sondern die Konzentration auf das Schriftstück und den Arbeitsplatz. Von der Person sehen wir nur die linke Hand, die das Blatt hält. Was wir außerdem von der Person erfahren, ist, dass sie gerne Früchte isst.

Und Egon: er hat seinen Schriftzug auf die Größe des Blattes adaptiert. Sein Name ist gut leserlich und füllt die Bildmitte. Er hält das Blatt mit beiden Händen fest, direkt vor seinem Gesicht. Er gibt uns also nur seinen Vornamen preis, bleibt aber selbst im Hintergrund. Ob wir aus der Umgebung darauf schließen können, dass er im Archiv arbeitet?

Anhand der hier interpretierten Bilder der Einladungskarte steht fest, dass wir nur so viel von den Portraitierten erfahren, wie diese es erlauben. Allen gemeinsam ist die Einbeziehung des Arbeitsumfelds. Das ist das Bindeglied zwischen ihnen, der gemeinsame Nenner.

Entscheidend für unsere Wahrnehmung der Portraitierten ist allerdings auch der Blickwinkel der Fotografien. Denn in der Art, wie der Bildausschnitt gewählt wird,  beeinflusst sie die Aussage entscheidend. Vergleichen wir nochmals Ralf und Egon, die beide im Archiv aufgenommen wurden: Ralf hat sein Schild an die Regale befestigt. Es wird also kein direkter Bezug zwischen dem Namensschild und der in den Akten stöbernden Person hergestellt. Ohne die anderen Portraits wäre die Zugehörigkeit zur Person nur schwer feststellbar. Die Funktion des Archivars, der Ort als Wissensquelle sind hier wesentlicher Bestandteil der Aussage. Ralf ist Besucher, die Umgebung zeichnet ihn aus als jemand, der auf den Grund der Sache kommen möchte. Bei Egon hingegen bildet die Umgebung wie ein Rahmen um das Blatt. Sein Vorname nimmt die zentrale Stellung ein, sozusagen als Stellvertreter für ihn. Er verschwindet im Archiv, als wäre er zugehörig. Dabei ist es nicht wichtig, welche Funktion die Fotografierten im Finanzamt innen haben, sondern, wie sie sich darin sehen und damit identifizieren.

Und es wäre ein leichtes gewesen, bei der Sekretärin das Blatt Papier mit dem Zoom heranzuholen, aber Teske schien die Umgebung ausschlagkräftiger als der Vorname selbst.

Generell betrachtet hält Anja Teske nicht primär das Aussehen einer Person fest, sondern sie führt uns fragmentarisch an die Persönlichkeit der Portraitierten heran.